Das Kontinuitätsprinzip: "Sprünge" vermeiden

 

Kontinuität beachten

Seit der Erfindung des Mediums Film sind die Filmemacher von dem Ehrgeiz besessen, das Filmerlebnis so intensiv wie möglich zu gestalten. Die Filmerzählung soll die Zuschauer derart gefangen nehmen, dass diese möglichst völlig vergessen, dass Film etwas künstlich Gemachtes ist. Nichts soll das Filmerleben stören. Bei diesem Bemühen wurde der Begriff "continuity" bereits in den frühen Jahren Hollywoods zum "magic word". Man definierte Kontinuitätsregeln, die dafür sorgen sollten, dass ein Film flüssig, visuell ungebrochen und ohne Sprünge und Irritationen abläuft. Dieses Bündel von Regeln nannte man "Kontinuitätssystem". Seit mehr als einem halben Jahrhundert bestimmt dieses Regelwerk die Produktion von Filmen, vor allem ihre Montage. Die Grundlage für Kontinuität wird bereits bei den Filmaufnahmen gelegt. Hier müssen jene Einstellungen entstehen, die es dem Cutter erlauben, einen kontinuierlichen Erzählfluss zu montieren. Wenn eben möglich, wird ein "unsichtbarer Schnitt" angestrebt. Ein solcher Schnitt ist nicht im wörtlichen Sinn unsichtbar, sondern so elegant und geschickt, dass der vom Fluss des Geschehens gefesselte Zuschauer ihn nicht bewusst registriert.

Im weitesten Sinn schließt die die Forderung nach Kontinuität die inhaltliche Stimmigkeit der Story mit ein. Was die Montage betrifft, ist auf einen kontinuierlichen Erzählfluss zu achten und ganz besonders auf die sogenannte Raum- und Zeitkontinuität. Schließlich kann sich der Begriff Kontinuität auch auf die Verwendung einzelner Gestaltungselemente beziehen. Diesen wird in einem Film jeweils eine bestimmte Funktion zugewiesen, und die muss beständig sein (statt beliebig zu wechseln). Alle im Film verwendeten Gestaltungselemente müssen untereinander stimmig sein, und sie müssen störungsfrei zueinander passen. Anders herum betrachtet: Alles, was den Zuschauer aus der Filmillusion herausreißen und/oder seine Identifikation mit dem Filmgeschehen (zer)stören könnte, sind Kontinuitätsbrüche und strikt zu vermeiden. Verursacht werden solche irritierenden Störungen hauptsächlich durch eine schlechte Kameraarbeit (z.B. verwackeltes Bild), durch Fehler beim Schnitt oder durch Mängel oder Unverträglichkeiten beim Ton bzw. bei der Tongestaltung. Auch technische Unzulänglichkeiten bei der Filmvorführung zerstören die Filmillusion, wenn sie auch nicht dem Filmwerk selbst zuzurechnen sind.

Das Prinzip der Kontinuität ist also auch beim Filmschnitt zu beachten. Wird dieses Prinzip verletzt, spricht man von Diskontinuität bzw. von Brüchen oder Sprüngen im Filmfluss. Solche Sprünge gelten als Schnittfehler, denn sie irritieren die Wahrnehmung des Zuschauers, sie lenken ihn vom Handlungsgeschehen ab, und sie machen ihm schlagartig die "Handwerklichkeit" des Filmes bewusst. Bevor die verschiedenen Arten von Sprüngen in Einzelnen beschrieben werden, sollen vorab zwei Oberbegriffe der Filmmontage erläutert werden: der "Jump Cut" und der "Match Cut".

 

Jump Cut (auch "Bildsprung" oder "Sprung-Schnitt")

Als Jump Cut bezeichnet man einen Filmschnitt, bei dem die klassischen Kontinuitätsregeln absichtlich verletzt werden. Diese Schnittform wird gelegentlich von einigen Filmemachern gezielt als Gestaltungsmittel eingesetzt – um die Zuschauer zu irritieren und/oder ihre Aufmerksamkeit zu erregen. In der Literatur ist man sich nicht einig, ob man auch schlichte Schnittfehler, also handwerkliches Unvermögen, als Jump Cuts bezeichnen soll bzw. darf. Typische Jump Cuts sind zum Beispiel:

  • Heran- oder Wegspringen eines Bildgegenstandes auf der gleichen Kameraachse
  • Montage von ähnlichen Einstellungen aus gleicher Kameraposition hintereinander (Missachtung der 30°-Regel)
  • Am Schnittübergang "springt" der Bild- oder Bewegungsanschluss (beispielsweise ist die Körperhaltung einer Person plötzlich anders oder ein Bewegungsablauf springt nach dem Schnitt vor oder zurück)
  • Abrupter Sprung der Bilddominante (z.B. einer Person) im Raum nach einem Schnitt

Match Cut

Während der (gewollte) Jump Cut gezielt auf Diskontinuität, also auf "Störung" anlegt ist, bezeichnet der Begriff Match Cut (engl.: to match = zusammenfügen/zusammenpassen) eine nach dem Kontinuitätsprinzip besonders originelle bzw. gelungene Schnittstelle. Beim Match Cut werden zwei Einstellungen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben bzw. die nach der Konvention so nicht montiert werden dürften, hart aneinander geschnitten. Eigentlich ein krasser Sprung. Aber die Kontinuität wird dadurch gewahrt, dass einzelne, in beiden Einstellungen vorhandene Inhalte, Merkmale oder Elemente die "Passung" herstellen. Zum Beispiel:

  • Ein im Bildkader (Rahmen) der ersten Einstellung an einer bestimmten Stelle vorhandener Bildinhalt wird durch den Schnitt in der nächsten Einstellung durch einen anderen ersetzt, der sich exakt an der gleichen Stelle befindet.
  • Ähnliche Objekte erscheinen nach dem Schnitt an einem anderen Ort (z.B. Auto fährt los, in der nächsten Einstellung bremst ein Reifen – aber von einem anderen Auto).
  • In der ersten Einstellung wird in eine Bewegung hineingeschnitten und diese in der nachfolgenden auf eine andere Weise fortgesetzt.
  • Nutzung von Handlungsanalogien beim Zusammenschnitt von zwei zeitlich und örtlich getrennten Einstellungen (z:B. Sand schaufeln und Zucker in den Kaffee "schaufeln").

Weitere Match-Cut-Beispiele finden sich im Unterkapitel "Übergänge". Zunächst aber noch eine Zusammenstellung von Sprüngen unterschiedlichster Art, die alle als Störungen der Kontinuität betrachtet werden.

 

Verschiedene Arten von Sprüngen, die den Filmfluss stören:

  • Achsensprung: Ein klassischer Achsensprung entsteht, wenn eine etwa im Winkel von ca. 90° zur Handlungsachse gefilmte Einstellung unmittelbar mit einer zweiten Einstellung zusammengeschnitten wird, die "genau von der anderen Seite" gefilmt wurde. Damit hat die Kamera die "Handlungsachse übersprungen". Dabei verliert der Zuschauer oft die Orientierung. Beispiel: Von einem Schiff oder aus einem Zug heraus wird – einmal Blick nach rechts und einmal nach links – die vorbeiziehende Landschaft gefilmt (Fahrtrichtung = Handlungsachse). Werden diese "Schüsse" später direkt aneinander geschnitten, hat der "mitfahrende" Zuschauer den Eindruck, dass dauernd die Fahrtrichtung gewechselt wird. Tipp: Einen Zwischenschnitt mit einer exakt auf der Handlungs- oder Bewegungsachse gefilmten Einstellung einfügen. Oder mit Hilfe eines Schwenks den Zuschauer von der einen Seite zur anderen Seite "mitnehmen".
  • Bewegungssprung: Eine in der ersten Einstellung gezeigte Handlung oder Bewegung wird durch den Schnitt unterbrochen, aber in der nachfolgenden Einstellung nicht exakt am gleichen Punkt fortgesetzt. Stattdessen "springt" der Vorgang zeitlich entweder vor oder zurück. Tipp: Immer "überlappend" filmen, wenn mehreren Einstellungen von Handlungen oder Bewegungsabläufen aufgenommen werden.
  • Sprünge bei Bildinhalten: Ein in der ersten Einstellung vorhandenes Bildelement (Gegenstand, Person) ist in der nachfolgenden Einstellung nicht mehr vorhanden, an einem anderen Ort oder verändert. Oder anders herum: Nach einem Schnitt ist plötzlich ein Bildelement vorhanden, das vorher nicht da war. Beispiele: Ein Kissen auf einem Sofa ist nach dem Schnitt plötzlich weg oder liegt an einer anderen Stelle, ein Protagonist hat auf einmal ein anderes Hemd an oder trägt plötzlich eine Brille.
  • Handlungssprung: Handlungssprünge passieren in der Regel bei zeitlichen Abläufen. Zwischen zwei Einstellungen hat sich eine Handlung oder ein Geschehen offensichtlich fort- oder zurückentwickelt, ohne dass diese Entwicklung im Bild gezeigt oder durch einen filmischen Übergang nachvollziehbar gemacht wird. Beispiel: Bei einer Trinkszene ist das Glas Bier in der einen Einstellung schon halb leer, in der nächsten noch fast voll.
  • Helligkeitssprung: Der entsteht, wenn eine sehr helle Einstellung hart an eine sehr dunkle geschnitten wird (oder umgekehrt). Tipp: Eine passende Einstellung mit mittlerer Helligkeit quasi "vermittelnd" dazwischen schneiden.
  • Farbsprung: Hierbei werden zwei Einstellungen mit stark unterschiedlichem "Farbstich" (Farbtemperatur) direkt hintereinander geschnitten. Beispiel: am Mittag aufgenommene Strandaufnahmen (meist blaustichig) lassen sich kaum mit Aufnahmen vom Spätnachmittag (eher rotstichig) "mischen". Tipp: Eine "vermittelnde" Einstellung " dazwischen schneiden oder Ausgleich der Farbunterschiede mit Hilfe der elektronischen Farbkorrektur des Schnittsystems.
  • Sprünge auf der gleichen Achse: Zwei Einstellungen, die von der gleichen Kameraposition (Standort oder Perspektive) aus geschossen wurden, werden unmittelbar hintereinander geschnitten. Der Bildausschnitt springt dann einfach nur näher heran bzw. weiter weg. Das gilt als Schnittfehler. Die Ursache ist schlechte Kameraarbeit. Im professionellen Bereich gibt es einige Regisseure, die solche jump cuts (es gibt auch noch andere) bewusst als Gestaltungsmittel einsetzen.
  • "Schockierender" Schnitt: Von einer Einstellung zur nächsten wird gleichzeitig ein Sprung über mehrere Einstellungsgrößen hinweg vollzogen. Beispiel: Nach einer Totalen wird direkt auf eine Nah- oder Großaufnahme geschnitten oder umgekehrt.
  • Sprung der Bilddominante: Die Bilddominante ist das ins Auge Springende eines Bildes, also jener Bildinhalt, auf den sich die Aufmerksamkeit des Zuschauers vorrangig konzentriert. Idealerweise sollte sich nach einem Schnitt die Bild-Dominante der neuen Einstellung sogar in etwa an der gleichen Stelle wie in der Einstellung zuvor befinden. Gibt es stattdessen einen Sprung, kann dieser u.U. durch einen Zwischenschnitt abgemildert werden.
  • Sprung bei einer Kamerabewegung: Eine Einstellung mit einer Kamerabewegung (Schwenk, Fahrt oder Zoom) wird in der laufenden Bewegung (ab)geschnitten, und es folgt eine Einstellung mit fest stehender, statischer Kamera. Das wirkt meist sehr abrupt. Empfehlung: Eine Kamerabewegung sollte erst beginnen, nachdem die Kamera einige Sekunden in Ruheposition gelaufen ist. Und sie sollte auch wieder mit einer ruhenden Kamera enden. Erst dann kann die nächste statisch gefilmte Einstellung problemlos angefügt werden. Unter welchen Bedingungen auch in Kamerabewegungen hinein geschnitten werden darf, findet sich im Kapitel "Übergänge".
  • Sprung bei Bildinhalten: Nach einem Schnitt ist auf einmal ein Gegenstand im Bild vorhanden, der vorher nicht (so) da war bzw. ein vorhandener Gegenstand ist in der nächsten Einstellung plötzlich an einem anderen Ort oder sogar verschwunden. Beispiel: Eine in der Totalen (noch) vorhandene Brille auf einem Tisch ist in der folgenden ½-Nah-Einstellung nicht mehr vorhanden. Solche Sprünge sind krasse Regiefehler oder Unaufmerksamkeit des Kameramannes. Sehr oft passiert so etwas beim Nachdrehen.
  • Sprung in der Kontinuität des Hintergrundes: Beim Wechsel der Kameraposition (z.B. bei Schuss/Gegenschuss) kann ein abrupter und für den Zuschauer unmotivierter Wechsel des Hintergrundes entstehen. Beispiel: Ein Mann stützt sich auf einen Spaten. Hintergrund: Garten. Dann der gleiche Mann von der anderen Seite, und im Hintergrund eine Hausmauer. Das ergibt den Eindruck, das Geschehen würde sich plötzlich in einer anderen Umgebung abspielen. Empfehlung: Vor einem solchen Schnitt sollte der Zuschauer bereits durch eine Totale oder durch einen Schwenk einen Überblick über den gesamten Handlungsort gewonnen haben.

 

Im traditionellen Film sind Sprünge störende Schnitt- und/oder Regiefehler. Sie irritieren den Zuschauer und reißen ihn aus der aufgebauten Illusion heraus. Grund: Jede Verletzung der Kontinuität zieht Aufmerksamkeit vom eigentlichen Filmgeschehen ab. Einige Regisseure haben Sprünge (z.B. Jump Cuts) auch zum Gestaltungsprinzip erhoben, um bewusst die Zuschauer zu irritieren oder um ihre besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Viele Sprünge lassen sich bei der Montage durch einen Zwischenschnitt aufheben (z.B. ein Achsensprung). Andere wie etwa Farb- oder Helligkeitssprünge können ggf. durch einen Zwischenschnitt gemildert oder mit Hilfe der elektronischen Nachbearbeitung entschärft werden.